Schlossgasse 8, Haus Rothenberger
Walter Nieß:
Der Dachverband hat einen großen Dachraum. Dort sind drei liegende Stühle mit liegenden Pfetten, alle mit römischen Zahlen gekennzeichnet. Der Anfang ist im Osten gemacht worden, die Sparren sind fortlaufend von 1 – 24 nummeriert. Die Sparrennummern korrespondieren mit den Bundnummern. Beispiel: Bund Nummer 5 hat Sparren Nummer 21, dementsprechend hat der Bund an allen Hölzern die Nummer 21 mit dem Zeichen (XXI). Zur Kenntlichmachung der Hölzer untereinander wurde teilweise die Reihenfolge der römischen Zahlen geändert XXI; XIX; IXX. Diese Irritationen durch fehlerhafte und verwechselte Zahlenangaben mögen Unregelmäßigkeiten beim Aufschlagen des Gebälks verursacht haben.
Rätselhaft ist die Tür an der Nordost-Ecke im 1. Obergeschoss. Hier bleibt die Frage offen, wohin sie führte: Zu einem Abort oder zum Wehrgang auf der Stadtmauer, wenn ein solcher damals vorhanden war. Um das Haus und den Hof ist eine Schildmauer zu sehen, ähnlich wie am Steinernen Haus.
Das Haus Rothenberger mit dem ummauerten Hof ist unverkennbar ein Adelssitz und stammt fast restlos von 1569. Beim späteren Umbau zur Schule werden die Fenster im 1. und 2. Obergeschoss vergrößert, die alten Fenster sind nur noch an den Ecken erhalten. Das Haus ist zweistöckig massiv, mit einem Fachwerkaufbau unter dem Dach und feldseitig teilweise auf die Stadtmauer aufgesattelt. An der Wand nach dem Hofe zu ist eine Hohlspindeltreppe aus Sandstein mit einem schönen Eingangsportal mit der Jahreszahl 1569 zu finden. Ein alter Ziehbrunnen aus dieser Zeit, ähnlich wie der im Steinernen Haus von 1544 gestaltet, befindet sich ebenerdig im Flur. Rechts daneben ist ein gewölbter Keller, links ist eine Kellerstube mit Resten von alten gekuppelten Fenstern und ein Abort (u. U. eine ehemalige Wächterstube?).
Zur Geschichte des Hauses Rothenberger
Graf Carl von Ysenburg-Büdingen (1785-1843) ist der Bruder von Graf Ernst Casimir II. (1757-1801). Dessen Gattin, Gräfin Eleonore Auguste Karoline, wiederum ist eine Tochter des Grafen Karl Paul Ernst zu Bentheim-Steinfurt. Amalie zu Bentheim-Steinfurt, die Witwe ihres Bruders, kauft 1774 das Biermannsche Haus auf dem Damm (ehern. Oberförsterei). Auf dieses Haus wird im dritten Teil der Häusermonografie (Altstadt) näher eingegangen.
Graf Carl von Ysenburg-Büdingen steht zuletzt als General-Major des Dragoner-regimentes Freistadt in Badischem Militärdienst. Dort hat er einen Lakai Rothenberger in Dienst, den er nach Büdingen mitbringt und der das Haus Rothenberger kauft oder erheiratet.
Dessen Sohn, Wilhelm Ludwig Rothenberger, wohnt ebenfalls in diesem alten Burgmannenhaus und wird von den Ysenburger Grafen zum Kammer-Registrator ernannt. Er ist von 1797 bis 1799 mit der Aufsicht und Führung der Rechnungen der herrschaftlichen Bierbrauerei und Branntweinbrennerei betraut. Wegen besonderer Verdienste wird er dann zum Rentmeister in der Büdinger Gräflichen Rentkammer ernannt.
In seinem Testament überlässt Rentmeister Rothenberger das Anwesen der Präsenz in Büdingen, die es zu einer Schule, beziehungsweise zum Kindergarten herrichtet. Das Anwesen ist noch heute Eigentum der Büdinger Präsenz. Die Familien Rothenberger wurden auf dem Büdinger Präsenz-Friedhof beigesetzt.
(Rentkam. Archiv der Fürsten zu Ysenburg-Büdingen in Büd. Abt. 3/II A3, Nr. 12 und 17).
Quelle: Dr. Walter Nieß: Burgmannenhäuser der Schlossgasse, Büdinger Häuserbuch I. Band, Geschichtswerkstatt Büdingen 2007.
Schlossgasse 8, Rückseite an der Stadtmauer von 1353
Schlossgasse 8, Straßenansicht