Funde aus der Herrgotts-Kapelle
Die Herrgottskapelle
1950 und 2010 wurden bei Bauarbeiten in der Büdinger Bahnhofstraße Reste der Herrgottskapelle gefunden. Das Herrgotts-Patrozinium bezieht sich auf das unter Papst Urban IV. 1264 eingeführte Fronleichnamsfest, das seit 1317 durch die Sakramentsprozession überall Verbreitung fand.
Die „Capella Corporis Christi“ dürfte um 1350 durch Stiftungen Büdinger Burgmannen gegründet worden sein, 1360 wird sie erstmals urkundlich erwähnt. An der Nord-Ost-Seite befand sich der Herrgottsborn, der noch bis in das 19. Jahrhundert genutzt wurde. Er war mit Sandsteinquadern eingefasst und hatte einen Durchmesser von 0,7 m.
Im Gegensatz zur St.-Remigius-Kirche und der Liebfrauenkapelle (Marienkirche), wurde sie hauptsächlich von den Bürgern genutzt, mit einem vielbesuchten Jahrmarkt zum Kirchweihfest. Bestattungen und die bauliche Verbindung mit dem Herrgottsborn weisen auf eine entstandene Wallfahrt hin, zu der jedoch der übliche Ablassbrief fehlt.
1507/08 erfolgten umfangreiche Bauarbeiten und eine Neuausstattung im Innern im Stil der späten Gotik. In den Baurechnungen wird auch ein Glockenturm genannt, zu dem das aufgedeckte Fundament gehören könnte.
Nach dem Osterfest 1508 wurde die Kirche neu geweiht. Dies steht im Zusammenhang mit der Gründung der Sebastianusbruderschaft der Büdinger Schützen, die 1509 durch den Mainzer Erzbischof ihre Bestätigung erfuhr und in einem Sebastianus-Altar in der Kirche ihr geistliches Zentrum fand.
Nach der Reformation, die der Fronleichnamsprozession besonders ablehnend gegenüber stand, wurde die Inneneinrichtung veräußert und die Kirche abgerissen, um Remigius- und Marienkirche zu reparieren.
Die Ausgrabung von 1950
Schon 1950 kamen bei der durch den Büdinger Geschichtsverein betreuten Notbergung zwei Särge mit Skeletten zutage, sowie Tierknochen, Keramikscherben, ein kleines Bleibeil und ein doppelspitziges Metallobjekt. Warum nur ein Teil der Objekte später in das Heuson-Museum kam, lässt sich heute nicht mehr klären.
Das „Beilchen“ aus Blei
Das aus einer Bleitafel ausgeschnittene Beilchen mit Tragöse wurde durch Zufall an der Baugrube von 1950 entdeckt. Es könnte aus einem der geborgenen Särge gefallen sein oder stammt aus dem Erdaushub. Es handelt sich um eine Votivgabe von Holzhauern oder Zimmerleuten, wahrscheinlich aus dem späteren Mittelalter.
Protokoll über Ausgrabungen an der „Corporis Christi Capella extra muros Buedingensis“
von Peter Nieß, 1953
Auf einem mäßig nach Süden fallenden Gelände wurde eine Schuttdecke als Auffüllung aufgebracht, die eine Mächtigkeit von 70-90 cm hatte. Diese Schuttdecke besteht aus Sandsteinschutt des Büdinger Sandsteinbruches. Darin finden sich streifenweise dunkle Partien, die aus Asche der Glashütte von Büdingen in Großendorf bestehen. Diese bildet weitgehend die Oberschicht, quasi eine Abdeckung der Sandsteinschicht. In der Oberschicht sind Partien gestickt, das heißt mit gestellten Sandsteinen befestigt, die eine Schicht von 20-25 cm bilden, die wohl als Fahrbahn genutzt wurde.
Der gewachsene Boden besteht aus dem für Büdingen typischen „Stechletten“, der hier 30 cm stark und bräunlich gefärbt ist. Nach unten geht seine Farbe in blau-grau über. Bei 150 cm Tiefe ist der Letten noch fest und muss gehackt werden. Darunter wird der Letten speckig und weich, dann sumpfartig weich und wasserhaltig.
In dem Letten eingebettet, in einer Tiefe von 190 cm von der heutigen Oberkante des Bodens – der Laufsohle –, fand sich in dem Untergrund ein Sarg. Er lag 6,60 m südlich der Bahnhofstraße. Die Füße der Leiche zeigten nach Osten, der Kopf nach Westen.
Der Sarg bestand aus Kieferbrettern, die mit handgeschmiedeten Nägeln zusammengehalten waren. Im Sarg fanden sich nur die starken Beinröhrenknochen des Toten. Es gab keinerlei Beigaben.
Mittels weiterer Suchgräben konnten drei Mauerreste aufgefunden werden, die wahrscheinlich Teile der dritten ehemaligen hinteren (südlichen) Friedhofsmauer waren.
In ca. 5,0 Meter Entfernung verläuft der dort zurzeit kanalisierte Küchenbach. Diese Mauer läuft parallel zur Bahnhofstraße. Die beiden ersten Mauerteile nehmen Bezug auf den ehemaligen „Steinweg“, der Verbindung von Großendorf mit der Stadt Büdingen.
Am Fundort des Sarges stiegen im Grundwasser Blasen hoch, die charakteristisch sind für kohlensäurehaltiges Wasser. Es wurde also ein Austritt der Büdinger Säuerlinge angeschnitten, die im 19. Jahrhundert von Liebig im Hainbereich untersucht wurden.
Aus: Dr. Walter Nieß, Die Herrgottskapelle vor Büdingen
Die Ausgrabung von 2010
2010 wurden zwei weitere Bestattungen gefunden, eine davon in einer Gruft im Innenbereich der Kapelle, zwischen Chorschranke und Altarerhöhung. Die Gruft bot Platz für mindestens zwei Bestattungen, aber nur das Skelett einer 35-48jährigen Frau in ihrem Sarg hatte sich erhalten. In einem nur teilweise erhaltenen Sarg wurde außerdem die Beisetzung eines 6,5 - 8,5 Jahre alten Mädchens gefunden. Fotos: Dr. Jörg Lindenthal
Mit freundlicher Genehmigung der Stadt Büdingen
Restaurierung/Konservierung der Särge 2010
Im Fall der Büdinger Särge ist es den klimatischen Umgebungsbedingungen am Fundort zu verdanken, dass sich diese Hölzer über Jahrhunderte erhalten konnten. Im Grundwasserbereich ist das Erdreich wassergesättigt, was zum einem zur Folge hat, dass nur sehr wenig Sauerstoff gelöst ist und zur Verfügung steht, zum anderen für die meisten Pilze es schon wieder „zu nass“ ist. Dennoch erfolgt ein Abbau, der von Mikroorganismen, die auch unter anaeroben Bedingungen gedeihen, verursacht wird. Der Zerfall ist also nicht ausgeschlossen, sondern durch die verminderte Aktivität dieser Spezies, stark verzögert.
Solche Hölzer werden als „archäologisches Nassholz“ bezeichnet, da sie komplett mit Wasser gesättigt sind. Sehr stark abgebaute Hölzer können fast nur noch aus dem Ligningerüst und Wasser bestehen. In ihrer Konsistenz ähneln sie einem vollgesogenen Schwamm. Trocknen diese nach ihrer Auffindung unkontrolliert aus, kollabieren die geschädigten Zellen und die Hölzer schwinden, abhängig vom Ausmaß des Substanzverlustes, übermäßig stark. Neben erheblichem Volumenverlust entstehen auch viele Risse quer zur Faser (Würfelbruch), die unter anderem auch zum Oberflächenverlust führen können. Im Schadensfalle wäre also die archäologische Auswertbarkeit des Informationsgehaltes eines solchen Objektes stark beeinträchtigt.
Das Montagekonzept wurde so gewählt, dass ein Zerlegen der Särge in ihre Einzelteile sowie deren nachträgliche Untersuchung jederzeit möglich ist, keine zusätzlichen Verbindungselemente montiert oder Klebungen an den Hölzern erfolgen und die Särge im zusammengebauten Zustand gezeigt werden können. Hierzu wurden zwei Untergestelle gefertigt, in die die Korpushölzer passgenau hineingestellt werden, für den Deckel ein Innengestell, das bündig zur Oberkante des Sarges das Auflegen der stark fragmentierten Hölzer ermöglicht.
Auszüge aus dem Bericht von Waldemar Muskalla: Restaurierung/ Konservierung der Büdinger Särge aus der Herrgottskapelle Büdinger Geschichtsblätter Band XXIII, 2015
Literatur zur Herrgotts-Kapelle
Büdinger Geschichtsblätter Band 8, 1974/75
Hans-Velten Heuson
Die Herrgottskirche von Büdingen, S. 127-146
Büdinger Geschichtsblätter Band 23, 2015
Johanna Kranzbühler
Die Bestattungen aus der Fundstelle Herrgottskapelle, S. 207-217
Waldemar Muskalla
Restaurierung/Konservierung der Büdinger Särge aus der Herrgottskapelle, S. 219-226
Die Herrgottskapelle vor Büdingen
Walter Nieß
Geschichtswerkstatt Büdingen 2009