in Deutschland vor 1933

Gesetze, Privilege, Edikte

Die erste jüdische Gemeinde in Deutschland siedelte in Mainz (1. Hälfte 10. Jahrhundert). Von dieser Zentralgemeinde aus bildeten sich weitere Gemeinden in Trier, Worms und Speyer. Ein Zentrum im 11. Jahrhundert war Köln.

Judenregal (Judensteuer)
Bereits in der Karolingerzeit wurden Juden gegen Zahlung eines Schutzzinses unter königlichen Schutz gestellt und erhielten dafür Zollbefreiungen und einige königliche Privilegien. Die Karolinger sahen Juden nicht als Leibeigene an.

Im Wormser Privileg von 1090
verbriefte Kaiser Heinrich IV. den in Worms ansässigen Juden ihre Rechte. Damit wurde eine Sammlung von Rechtsnormen geschaffen, die das Verhältnis zwischen Juden und Christen für Jahrhunderte prägte:

  • Schutz von Leben und Eigentum
  • Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung
  • Freiheit der Religionsausübung
  • Recht zur Beschäftigung christlichen Personals
  • Autonomie der Gemeinde in innerjüdischenRechtsangelegenheiten
  • Festlegung einer Verfahrensordnung für Streitigkeiten zwischen Juden und Christen.

1236 wurde die Urkunde auf die Juden im ganzen Reich ausgedehnt.

Kammerknechtschaft Friedrich II. machte 1236 alle Juden reichsweit zu königlichen „Kammerknechten“. Schutzbriefe wurden nun nicht mehr von Fürsten oder Bischöfen vergeben, Juden waren der kaiserlichen Kammer zinspflichtig. Unter Rudolf von Habsburg ging die Kammerknechtschaft immer mehr auf die Territorialfürsten über. Karl IV. übertrug 1356 das Judenregal auf die Kurfürsten. Es war nun eine Ware, die verkauft, verliehen und beliehen werden konnte.

Das Judenreglement von 1700
verbot Juden den Häuserkauf und bestätigte die auferlegten Handelsbeschränkungen. Dies war auf Druck der christlichen Kaufleute festgelegt worden. Ab 1714 war der Häuserkauf wieder erlaubt, der Schutzbrief aber nur an den ältesten Sohn vererbbar. Zwei weitere Söhne konnten einen Schutzbrief gegen hohe Gebühr kaufen, alle anderen mussten unverheiratet bleiben oder auswandern.

Das preußische Generaljudenreglement
von 1730 beschränkte die Zahl der jüdischen Familien in Berlin auf 100, 1737 auf 120 zuzüglich 250 Diener. Nichtzünftige Handwerke und das Hausieren wurden verboten.

Das Revidierte Generalprivileg von 1750
gliederte die preußischen Juden in sechs Klassen. Es führte dazu, dass nur wenige reiche jüdische Familien in größeren Städten leben durften, die meisten lebten auf dem Land oder in kleinen Städten. Schutzjuden

  • der 1. Klasse waren faktisch christlichen Bürgern gleichgestellt. Ihre Kinder waren niederlassungsberechtigt, ebenso ihre Diener
  • der 2. Klasse durften sich nur im ihnen zugewiesenenOrt aufhalten. Dieses Wohnrecht war auf ein Kind vererbbar, zwei weitere konnten es für je 1000 Taler kaufen
  • der 3. Klasse (z. B. Ärzte, Anwälte, Künstler)konnten ihr Wohnrecht nicht vererben, aber für ein Kind für 1000 Taler kaufen
  • der 4. Klasse (Rabbiner, Gemeindeangestellte) hatten Wohnrecht durch die Anstellung
  • der 5. Klasse (Juden, die keine Wohnerlaubnishatten) waren rechtlos, eine Heirat war ihnen verboten, wenn sie nicht in die beiden oberen Klassen heirateten
  • der 6. Klasse (Dienstboten und kaufmännische Angestellte) war die Heirat verboten.

Das Badische Judenedikt von 1809

  • stellte Juden in Baden staatsbürgerlich gleich
  • beseitigte die bisherige autonome Gemeindeverfassung
  • hob das Schutzverhältnis der Juden auf
  • führte die Schulpflicht ein
  • gab eine generelle Heiratserlaubnis
  • schrieb erbliche Familiennamen vor.

Die Verfassung von 1818
machte viele dieser Errungenschaften rückgängig: große Einschränkungen für die Einstellung in den Staatsdienst und das passive Wahlrecht, die Gleichstellung mit christlichen Konfessionen wurde aufgehoben. Beim Reformlandtag 1831 wurde die Schutzbürgerschaft wieder eingeführt, Juden blieben damit vom Gemeindeleben, vom Gemeinderat und der Verwaltung ausgeschlossen. Das Recht der freien Wohnsitzwahl wurde beschränkt.

Das Preußische Judenedikt von 1812

  • erlaubte Juden, preußische Staatsbürger zu werden
  • beseitigte die bisherige autonome Gemeindeverfassung
  • hob das Schutzverhältnis der Juden auf
  • gewährte ihnen weitgehende Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit
  • erlaubte Juden, sich erstmals im fast gesamtenpreußischen Gebiet frei bewegen
  • erlaubte Juden, ohne obrigkeitliche Kontrolle Grundbesitz zu erwerben
  • strich fast alle Sonderabgaben
  • schrieb erbliche Familiennamen vor
  • schloss Juden weiterhin von Staats- und Verwaltungsämtern aus
  • galt nur für dauerhaft sesshafte, erwerbstätige Juden, andere wurden möglichst ausgewiesen.

Einwandernde Juden brauchten eine Genehmigung, sich in Preußen niederlassen zu dürfen. Mit dem Preußischen Judengesetz von 1847 wurde eine noch größere Rechtsgleichheit in allen preußischen Landesteilen hergestellt.

Das Bayerische Judenedikt von 1813

  • beseitigte die bisherige autonome Gemeindeverfassung
  • sicherte vollkommene Gewissensfreiheit zu
  • erlaubte eigene kirchliche Gemeinden
  • erlaubte Synagogen, Rabbiner, Friedhöfe
  • erlaubte den Unterricht an öffentlichen Schulen
  • erlaubte, eigene Schulen zu errichten
  • erlaubte, Grundbesitz zu erwerben
  • erlaubte Ackerbau und Handwerk
  • erlaubte den Betrieb von Fabriken und Manufakturen
  • erlaubte den ordentlichen Handel
  • verbot Hausiererei und Schächerhandel
  • regelte die Erfassung wohnberechtigter Juden in Matrikeln (Listen)
  • legte für jeden Ort eine Höchstzahl jüdischer Familien fest
  • verbot jede Einwanderung und Niederlassung fremder Juden
  • bestimmte, dass eine Heirat von der Obrigkeit genehmigt werden musste.

Das Württembergische Judenedikt von 1828

  • gewährte teilweise Gleichstellung mit württembergischen Untertanen
  • hob das Schutzverhältnis der Juden auf
  • schrieb erbliche Familiennamen vor
  • schrieb einen örtlichen Wohnsitz vor
  • erlaubte eigene kirchliche Gemeinden
  • erlaubte Synagogen, Rabbiner, Friedhöfe
  • erlaubte den Unterricht an öffentlichen Schulen
  • erlaubte, eigene Schulen zu errichten
  • machte Einschränkungen bei Berufswahl und Gewerbefreiheit
  • verbot Hausiererei und Schächerhandel
  • bestimmte, dass eine Heirat von der Obrigkeit genehmigt werden musste.
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Antisemitismus

Von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit verstärkte sich die negative Darstellung der jüdischen Kultur. Diese Verschwörungstheorien entstanden aus religiösen und wirtschaftlichen Motiven.

Brunnenvergiftung
Im Mittelalter wurden Juden wegen ihrer religiös verankerten Hygienevorschriften manchmal später von Epidemien getroffen als die übrige Bevölkerung. Jüdische Ärzte genossen einen guten Ruf, wurden aber wegen ihrer medizinischen Kenntnisse leicht als deren Urheber verleumdet. Da man glaubte, die Pest entstehe durch Gift in Wasser und Luft, kam es in Pestzeiten europaweit zu Judenpogromen mit hunderttausenden Todesopfern.

Ritualmordlegende
Diese Legende besagt, dass Juden das Blut von Christenkindern für ihre Matzen beim Pessachfest und zu magischen oder medizinischen Zwecken benötigten. Sie kam 1144 in England auf und verbreite sich bis in das 20. Jahrhundert in ganz Europa. Wurden solche Anklagen erhoben, führte dies meist zu Massakern für die Beschuldigten, ihre Angehörigen und Gemeinden.

Jüdische Weltverschwörung
Legenden über ein heimliches Weltherrschaftsstreben wurden seit dem Mittelalter überliefert und im neuzeitlichen Antisemitismus rassistisch verschärft. Im Nationalsozialismus war das „Weltjudentum“ der Feind, den die „arische Herrenrasse“ für ihr eigenes Überleben vernichten müsse.

Judensau
Die Tiermetapher ist ein im frühen 13. Jahrhundert entstandenes häufiges Bildmotiv der antijudaistischen christlichen Kunst. Da das Schwein im Judentum als unrein gilt (Nahrungstabu), wurden Juden damit verhöhnt und gedemütigt. Solche Spottbilder sind auf Steinreliefs und Skulpturen an etwa Kirchen und anderen Gebäuden vor allem in Deutschland bis heute zu sehen.

Jüdischer Parasit
Diese Metapher behauptet, Juden würden Staaten und Völker parasitär befallen und ausnutzen. Es gibt sie seit dem 18. Jahrhundert und sie war im Nationalsozialismus sehr häufig anzutreffen, um die Verfolgungen zu rechtfertigen.

Gottesmörder
Mit diesem Vorwurf rechtfertigte die Kirche seit dem 2. Jahrhundert die Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung von Juden. Er förderte auch den modernen Antisemitismus, der ab etwa 1800 entstand. In diesem Zusammenhang auch ist die Rolle der christlichen Kirchen bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu sehen.
Die römisch-katholische und die evangelische Kirche haben diese und weitere Legenden nach 1945 allmählich offiziell als Irrtum und Schuld anerkannt, bei katholischen Traditionalisten wie der Piusbruderschaft oder vielen orthodoxen Kirchen wird sie jedoch noch immer verbreitet.

Karfreitagsfürbitte für die Juden
Sie war ein Ausdruck christlichen Antijudaismus, der den Antisemitismus beförderte und erst nach dem Holocaust schrittweise geändert wurde.

Hostienfrevel
war eine Legende der Kirche, die im Hochmittelalter weite Verbreitung fand. Den Beschuldigten wurde unterstellt, geweihte Hostien geschändet zu haben, um die Marter Jesu Christi bei der Kreuzigung zum Hohn nachzuvollziehen. Sie wurden nach einem durch Folter erpressten Geständnis meist auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Nach diesen Prozessen wurden sehr oft alle ansässigen Juden enteignet und ermordet oder vertrieben.

Bildunterschrift: Die Heilige Hostien
werden / in einen Bronnen geworf=
/ fen dass wasser vergifft, / es
sterben vil Christen.
Quelle: Gebetbuch, Deggendorf 1776, commons.wikimedia.org

Martin Luthers antijüdische Hetze
Ursprünglich wollte Luther Juden zum Christentum bekehren. In seinem Buch „Von den Juden und ihren Lügen“ erklärte er jedoch, dies sei unmöglich. Sie seien blutdürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt. Ihre Rabbiner verführten die christliche Jugend, sich vom wahren Glauben abzuwenden. Mehrmals unterstellte er den Juden, Brunnen zu vergiften und Kinder zu rauben und zu zerstückeln. Genau diese Legenden hatte er 20 Jahre zuvor als „Narrenwerk“ bezeichnet.

 Luther forderte von den Fürsten

  • ihre Synagogen niederzubrennen
  • ihre Häuser zu zerstören
  • ihnen Gebetbücher und Talmudim zu nehmen
  • ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe zu verbieten
  • ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht zu entziehen
  • ihnen Geldgeschäfte zu verbieten
  • ihnen Bargeld und Schmuck zu nehmen
  • sie zur Zwangsarbeit heranzuziehen.

Falls sich dieses nicht durchführen lasse, sollten sie die Juden aus den evangelischen Ländern „wie die tollen Hunde“ verjagen. Er verglich Juden mit „Zigeunern“ - diese waren 1498 im ganzen Heiligen Römischen Reich für vogelfrei erklärt worden, also ausgestoßen, geächtet und rechtlos. Sieht man sich diese Liste an, sind Parallelen zur nationalsozialistischen Judenverfolgung offensichtlich.

Von den Jueden vnd jren Luegen
Martin Luther, 1543 
Quelle: commons.wikimedia.org

Beispiele für Judenverfolgungen vor 1933

Während des Bauernkreuzzuges 1096 kam es zu den ersten organisierten Judenpogromen des Abendlandes. Die Beteiligten wollten die Juden vertreiben und sich deren Besitz aneignen. Die im Rheinland ansässigen Juden wurden von Teilnehmern des Bauernkreuzzuges vor die Wahl „Taufe oder Tod“ gestellt. Tausende, die nicht zum Christentum konvertieren wollten, wurden erschlagen. Im Judentum wird der Ereignisse als Gezerot Tatnu gedacht.

1298 behauptete ein Mann namens Rintfleisch eine Hostienschändung in Röttingen a.d. Tauber. Er zog mit einer Bande von Totschlägern durch über 140 fränkische und schwäbische Ortschaften. Sie vergewaltigten, folterten und verbrannten bis zu 5.000 Juden und Jüdinnen und töteten deren Kinder. Viele jüdische Gemeinden wurden ausgelöscht. Die Verfolgungen wurden in den Historiae Memorabiles dokumentiert.

Beim Armlederaufstand zogen 1336 - 1338 Bauern und Räuberbanden unter Führung des Raubritters Arnold III. von Uissigheim (König Armleder) umher. Sie löschten ca. 60 jüdische Gemeinden im Elsass, in Schwaben, Hessen, an der Mosel, in Böhmen und Niederösterreich aus. Ausgangspunkt der Bewegung war wieder  Röttingen a.d. Tauber. Im Sommer 1337 begann die Armlederbewegung erneut, weitete sich von Franken über Hessen bis ins Elsass aus und richtete Massaker an.

Bei den Pestpogromen während der Pestwelle 1348 - 1353 wurde den Juden Brunnenvergiftung vorgeworfen. In 85 von 350 Städten mit jüdischen Einwohnern wurde gemordet, fast überall wurden Juden ausgewiesen.

Im Sternberger Hostienschänderprozess 1492 wurden in Mecklenburg 27 Juden zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, danach alle in Mecklenburg lebenden Juden vertrieben.

Im Berliner Hostienschänderprozess 1510 wurden 38 Juden verbrannt, danach alle anderen vertrieben.

Der Fettmilch-Aufstand 1614 in Frankfurt am Main wurde vom Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch angeführt. Für die Krawalle und Plünderungen waren Kaufleute, Handwerksmeister und andere Schuldner von jüdischen Geldverleihern verantwortlich. Sie hofften, zusammen mit ihren Gläubigern auch ihre Verpflichtungen loszuwerden. Fettmilch erzwang die Vertreibung aller Juden aus Frankfurt.
Der Kaiser ließ ihn und sieben Mitangeklagte nach einem langwierigen Prozess 1616 hinrichten. Am selben Tag wurden die Juden in einer feierlichen Prozession in die Judengasse zurückgeführt. An deren Tor wurde ein Reichsadler angebracht mit der Umschrift „Römisch kaiserlicher Majestät und des heiligen Reiches Schutz“.
Die Zünfte mussten 100.000 Gulden an den Kaiser zahlen und wurden aufgelöst. 32 beteiligte Frankfurter Bürger wurden aus der Stadt verbannt, mehr als 2.000 mussten Geldbußen zahlen. Die Juden sollten für sämtliche Sachschäden aus der Stadtkasse entschädigt werden, erhielten das Geld aber nie. Das Ghetto der Judengasse bestand in Frankfurt bis in napoleonische Zeit.

 

Die Plünderung der Frankfurter Judengasse während des Fettmilch-Aufstands;
Stich von Matthäus Merian aus dem Jahr 1628
Quelle: wikipedia.org

Die Hepp-Hepp-Krawalle 1819 waren mehrmonatige gewalttätige Ausschreitungen gegen Juden in vielen Städten des Deutschen Bundes. Handwerker, Händler, Studenten beschimpften, bedrohten und misshandelten Juden, zerstörten und plünderten Synagogen, Läden, Warenlager und Wohnhäuser. Presseberichte machten die Unruhen in ganz Deutschland bekannt und wirkten wie ein Appell zur Nachahmung.
Es folgten Tumulte und Angriffe auf Juden u.a. in Bamberg, Bayreuth, Regensburg, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg, Hamburg, Danzig, Breslau, Grünberg, Königsberg, Lissa, Koblenz, Hamm, Kleve und Dormagen.
Eine Folge der Hepp-Hepp-Krawalle waren die Karlsbader Beschlüsse von 1819.

 

Hepp-Hepp-Krawalle 1819 
Johann Michael Volz, deutscher Maler und Karikaturist
Quelle: wikipedia.org

Liste von Pogromen und Rassenunruhen auf Wikipedia

 

Verbreitung der Juden im deutschen Reich 1893–97
Quelle: Meyers Konversationslexikon, commons.wikimedia.org